Über das Projekt

Motivation und Aufgabenstellung

Die Einführung eines ERP-Systems stellt ein Unternehmen vor große Herausforderungen. Die Nutzung eines Standardsystems setzt voraus, dass die eigenen Prozesse bekannt und an den Standard anpassbar sind. Ist dies nicht möglich, mutieren Einführungsprojekte nicht selten zu kostspieligen und sehr langwierigen Individualentwicklungsprojekten, die für Unternehmen mitunter existenzbedrohende Ausmaße annehmen können.

Die Textilbranche ist für Anbieter von ERP-Systemen herausfordernd, da die Artikelstruktur keiner anderen Branche ähnelt und somit in Standardsystemen, die nicht speziell auf die Textilindustrie ausgerichtet sind, schwer nachzubilden ist. Dabei wird ein Artikel aus dem Modell (Schnitt) sowie dem Hauptoberstoff (Material) gebildet, und hat Ausprägungen in verschiedenen Farben, die wiederum in Größengängen mit unterschiedlichen Größen abgebildet werden. Zusätzlich folgt die Textilindustrie in der Regel einem saisonalen Ansatz (klassisch mit 2-4 Saisons pro Geschäftsjahr), in dem die komplette Artikelstruktur jeweils neu definiert und entwickelt wird. Die fortschreitende Digitalisierung mit einem geänderten Marktumfeld, sinkende Zahlen im Einzelhandel, steigende Anteile im E-Commerce, Roboterfertigung von Bekleidung sowie virtuelle Kollektionen statt tatsächlicher Musterfertigung machen eine Systemunterstützung unverzichtbar.

Aktuell erfolgt insbesondere in KMU der Textilbranche die Anbindung von Plattformen (z. B. Amazon), aber auch die Einrichtung eigener E-Commerce Lösungen (B2B-Shop, B2C-Shop) in den meisten Fällen aufgrund fehlender standardisierter Prozesse und entsprechender Standardsoftware mit einfachen Mitteln wie Microsoft Excel. Insbesondere die sich schnell ändernden Algorithmen (z. B. Ranking von Produkten) der Plattformen bringen dieses individuelle Vorgehen der einzelnen Unternehmen an eine Grenze, sodass Umsatzpotentiale in den Plattformen nicht ausgeschöpft werden.

Ziel des Projekts

Übergeordnetes Ziel des Vorhabens AdjUST ist es, insbesondere Unternehmen der Textilbranche in ihren Geschäftsvorgängen informationstechnologisch zu unterstützen. Das Projekt beabsichtigt daher die Entwicklung einer IT-Lösung, welche kostengünstig Best-Practice-Prozesse zur Verfügung stellt. Es soll ein Ökosystem geschaffen werden, das bestehende (Referenz-)Prozesse kontinuierlich optimiert und weiterentwickelt.

Lösungskonzept

Das Lösungskonzept, welches den in den Szenarien skizzierten Bedarf decken soll, grenzt sich von klassischer Standardsoftwareentwicklung in der Art der Referenzmodellgestaltung und Anpassung nach Kundenbedürfnissen (Customizing) ab. Um die Lösung zu realisieren wird auf ein Plattform-Konzept gesetzt, das in Form von Cloud-Services die Prozesse unterschiedlicher Textilunternehmen in einer Form integriert, sodass sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Prozessen identifizieren sowie SOLL- wie IST-Prozesse vergleichen lassen.

Im Unterschied zur klassischen Standardsoftware, bei der Referenzprozesse über Deduktion hergeleitet werden, um anschließend das Informationssystem zu gestalten, verfolgt das Projekt AdjUST das primäre Ziel, über einen induktiven Ansatz die Referenzprozesse evolutionär zur Systemlaufzeit zu entwickeln. Hierfür bilden die implizit in einem existierenden ERP-System hinterlegten Referenzprozesse und deren tatsächliche Ausführungsdaten bei den Anwendern die wichtigste Grundlage.

Die avisierte Plattform grenzt sich von der Einführung von Individualsoftware über den Grad der Automatisierung der Customizing-Aktivitäten sowie die Wiederverwendung von Prozess- und Softwaremodulen ab. Abbildung 2 beschreibt den Lösungsansatz von AdjUST. Zur Adressierung des in den beiden Szenarien skizzierten Bedarfs werden unterschiedliche Komponenten miteinander verknüpft: eine ERP-Lösung, Komponenten zur ERP-System-Einführung sowie Datenquellen bestehend aus Referenzprozessen, Prozessvarianten und Prozessinstanzen zur Optimierung existierender Referenzprozesse und Unternehmensprozesse. In Abbildung 2 ist der Lösungsansatz von AdjUST mit Komponenten und Teilzielen dargestellt. Aus dem ERP-System (K4) werden Ausführungsdaten generiert. Diese Prozessdaten werden zur stetigen induktiven und evolutionären Referenzmodellerstellung (K2) genutzt. Anhand der resultierenden Referenzmodelle wird die individuelle Konfiguration von neuen und bestehenden Anwendungssystemen unterstützt. Der skizzierte Zyklus ermöglicht eine stetige Verbesserung der Prozesse und Systeme einzelner Unternehmen, sowie das Bereitstellen von neuen Erkenntnissen für die Textilbranche.

Die ERP-Lösung ist ein bestehendes System von INTEX, das im Rahmen des Projekts zum Einsatz kommen soll.

Die Ziele der Komponente zur induktiven, evolutionären Referenzmodellerstellung (K2) sind der Abgleich der über die Customizing-Komponente ermittelten Prozesse mit dem bestehenden Referenzmodell, sowie die Integration unterschiedlicher Prozessmodelle zu einem aktualisierten Referenzmodell. Kernbestandteile sind Algorithmen zur Identifikation analoger und äquivalenter Prozessmodelle und Teilprozessmodelle sowie Verfahren zur Integration von Modellen, die neben den Modellinformationen zusätzlich Ausführungsdaten aus dem ERP-System nutzen. Damit unterstützt diese Komponente die kontinuierliche Optimierung (S2).

Die Komponente zum intelligenten Customizing (K3) soll eine automatisierte Konfiguration des Systems gemäß den individuellen Bedürfnissen eines Unternehmens ermöglichen und fokussiert somit die ERP-Einführung (S1). Die Komponente soll Systemanwender in die Lage versetzen, ein Customizing selbst durch intelligente Assistenzfunktionen umzusetzen. Spezifikationen werden erhoben und in strukturierte Prozessinformationen in Form von Prozessmodellen transformiert. Das Modul bündelt Werkzeuge, die dem Forschungsbereich des Natural Language Processing und im Speziellen dem Information Extraction und Question Answering (Q&A) zuzuordnen sind. Kernbestandteile sind eine „Text-to-Model“-Komponente, die es ermöglicht, natürlichsprachlich formulierte Prozessbeschreibungen in Prozessmodelle zu transformieren, sowie eine Q&A-Komponente zur Komplettierung unvollständiger Prozessbeschreibungen und zur Unterstützung des Anwenders in der Ausspezifizierung der gewünschten Prozessunterstützung. Auf diese Weise profitieren insbesondere kleinere Unternehmen, indem das System kostengünstig an ihre Prozesse angepasst werden kann.